Klimaschutz / Klimaneutralität = 1. Dekarbonisierung + 2. Kompensation des sehr kleinen Restanteils
Klimaschutz wird im Sprachgebrauch oftmals mit "Klimaneutralität" gleichgesetzt, im Vordergrund stehen häufig Kompensationsmaßnahmen an anderer Stelle. Um wirksamen und effektiven Klimaschutz zu betreiben, muss an erster Stelle die Dekarbonisierung nach dem Motto "der Kohlenstoff muss raus", d.h. Ersatz fossiler Energien durch erneuerbare Energien bzw. Einsparung und Effizienz stehen. Kein Klimaschutz ohne Dekarbonisierung. Erst wenn alle Dekarbonisierungs-Maßnahmen ausgeschöpft sind, kann der kleine Rest durch Kompensationsmaßnahmen ausgeglichen werden und nicht anders herum (s. Beitrag von Dr. Norbert Allnoch: Wie ein kleines Dorf in den Bergen Lawinenneutralität erreichen konnte)
Im Fokus steht in vielen Kommunen aber nicht der Klimaschutz durch Dekarbonsierung, sondern die vermeintiche Klimaneutralität durch Kompoensation. Die Klimaneutralität zielt nicht vorrangig auf die Dekarbnisierung sodern zielt darauf ab, fosssil so weiter zu machen wie bisher und durch - finanzielle - Kompensationsmaßnahmen an anderer Stelle die CO2-Ausstoß bilanziell auszugleichen. Diese Methode sorgt nur dafür, dass man am eigenen Handeln nichts ändern muss und der Klimaschutz am Ende nicht wirksam wird.
Die Transformation der Wirtschaft mit dem Ziel der Dekarbonisierung sollte daher im Fokus stehen. Kommunen hadern oft mit der rein rechnerischen CO2-Bilanzierung nach dem BISKO-Modell und stellen sich die Frage, wie Klimaschutz auf Bais der Dekarbonisierung erfolgen kann. Das Internationale Wirtschaftsforum Regenerative Energien (IWR) hat mit der neuen "Dekarbonisierungs-Bilanz (Aktivbilanz)" ein Planungsinstrument entwickelt, das es Kommunen, Firmen oder Institutionen erleichert, den Dekarbonisierungs-Stand sichbar zu machen und in eine Nach-vorne-Strategie einzubinden.
Instrument der CO2-Bilanzen - Eine Klima-Treibhausgasbilanz blickt nur in die Vergangenheit (Passivbilanz)
Als Grundlage für politische oder unternehmerische Entscheidungen zur Erreichung der sog. Klimaneutralität dienen häufig CO2-Bilanzen. Eine solche Klimabilanz mit den CO2-Emissionen ist defacto eine Klima-Schadensbilanz der letzten Jahre und bildet die Aktivitäten der Vergangenheit ab (Blick in den Rückspiegel). CO2-Bilanzen sind eine Art Controlling-Instrument, taugen aber nicht als Handlungsgrundlage für die Zukunft. Um Dekarbonsierungs-Aktivitäten für die Zukunft planen und eine Umsetzungsstrategie entwickeln zu können, braucht es ein entsprechendes Planungsinstrument mit dem die Zukunft abgebildet werden kann. Dazu hat das IWR die nachfolgende Dekarbonisierungs-Bilanz (Blick durch die Windschutzscheibe) entwickelt.
Instrument der Dekarbonisierungs-Bilanz nach IWR - Blick in die Zukunft (Aktivbilanz)
Für eine in die Zukunft gerichtete Rahmenstrategie hat das IWR eine Grundlage bzw. ein eigenes Instrument entwickelt, die Dekarbonisierungs-Bilanz. Das Motto auf dem Weg zu mehr Klimaschutz lautet: "Der Kohlenstoff muss raus". Dieser ganzheitliche Ansatz erleichtert Firmen, Kommunen, etc., auf Basis der realen CO2-freien Einzelbeiträge auf dem Strom- und Wärmesektor den zuküntigen Investitionsbedarf (z.B. Energieerzeugung in PV-, Wind-, Biogasanlagen, grüner Wasserstoff oder Investitionen in eine Sanierung) abzuschätzen und erleichtert damit eine sichtbare Steuerung der Prozesse.
Geplante Handlungsaktivitäten und deren jeweiliger Beitrag zur Kohlenstoff-Minderung werden im Dekarbonisierungs-Monitoring bereits direkt im Vorfeld, d.h. im Stadium der Umsetzungsplanung, quantitativ erfasst und damit konkret erkennbar. Der Dekarbonisierungs-Fortschritt in der Kommune oder im Unternehmen sowie der weitere Handlungsbedarf wird schon früh sichbar und das zu einem Zeipunkt, wenn die letzte CO2-Bilanz noch gar nicht erstellt ist bzw. vorliegt.
Beispiel für die Stadt "Musterstadt": Grundlagen für eine Dekarbonisierungs-Bilanz
Die Grundlagen für eine Dekarbonisierungs-Bilanz einer "Musterstadt" bilden die drei Monitoring-Tabellen "1. Strom", "2. Wärme" und "3. Sanierung".
Angenommen, die nachfolgende "Musterstadt" hat z.B. 400.000 Einwohner und einen Strombedarf von 1.500 Mio. kWh (1,5 Mrd. kWh). In einer Dekarbonisierungs-Bilanz wird von dem Gesamtbedarf der Erzeugungsanteil abgezogen, der bereits einen Beitrag zur Dekarbonisierung leistet (Windenergie, Photovoltaik, Bioenergie, Wasserkraft, grünes GuD-Kraftwerk, usw.). Am Ende bleibt ggf. eine Deckungslücke, die es noch zu dekarbonisieren gilt. Mit der Jahrestabelle wird in übersichtlicher Form erkennbar, welcher Aufwand noch zu tätigen ist. Die Planungen für die Zukunft werden mit Hilfe der Monitoring-Tabelle vereinfacht.
1. Mustertabelle "Stromsektor": Jahres-Monitoring Dekarbonisierung "Musterstadt" |
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2021 |
2022 |
2023 |
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2030 |
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MW |
Mio. kWh |
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Strombedarf (gesamt) |
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1.500 |
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Windenergie |
85 |
- ca. 170 |
- |
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Solarenergie |
120 |
- ca. 120 |
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Biogas, Biomasse |
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- ca. 75 |
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Wasserkraft |
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- ca. 70 |
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Strom, |
5 | - ca. 35 | ||||
Strom, |
100 |
- ca. 300 |
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Zwischensumme |
- ca. 770 |
- |
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Deckungslücke |
730 |
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Annahmen Volllaststundenzahl (Std.): Windenergie: 2.000, Photovoltaik: 1.000, Biogasanlage: 5.000, Wasserkraft: 7.000, GuD-Kraftwerk: 3.000, Tiefen-Geothermie: 7.000 Die Werte zu den Volllaststunden sind Anhaltspunkte und können je nach konkretem Standort abweichen |
Klimaschutz auf dem Stromsektor: Problem "echter" und "unechter" Ökostrom
Viele Kommunen haben sich das Ziel der Klimaneutralität bis zu einem bestimmten Jahr gesetzt, ohne den Begriff "Klimaneutralität" zu definieren oder zu beschreiben, was damit gemeint ist. Jeder kommunale Akteur definiert Klimaneutralität dann unterschiedlich und aus der eigenen Perspektive. Besonders problematisch ist der "Ökostrom". Hier gibt es zwei unterschiedliche Arten, den a) physischen, "echten" Ökostrom und den b) Etiketten, "unechten" Ökostrom.
1. Echter Ökostrom - Einkauf und tatsächliche Beschaffung mit Lieferung
Echter Ökostrom ist der, der von einem Stadtwerk oder Energieversorger am Markt tatsächlich - wie normaler konventioneller Strom auch - eingekauft und beschafft wird. Das entscheidende Merkmal ist die tatsächliche Beschaffung des Stroms am Markt. Dieser Strom kommt aus Ökostromanlagen mit Direktverträgen ohne EEG-Beteiligung oder aus Anlagen, die nach 20 Jahren aus der EEG-Vergütung herausfallen. Des Weiteren ist Ökostrom mit Herkunftsnachweisen möglich, verbunden mit einer tatsächlichen Lieferung oder aus dem Betrieb eigener Ökostromanlagen (auch hier: ohne EEG).
2. unechter Ökostrom - Etiketten-Einkauf ohne Beschaffung bzw. Lieferung bringen nichts fürs Klima
Von "unechtem" Ökostrom oder Etiketten-Ökostrom wird hier gesprochen, wenn keine Lieferung des Ökostroms erfolgt. Wie in dem Beispiel der "Musterstadt" aufgeführt, produzieren zwar viele Ökostromanlagen auf dem Stadtgebiet dekarbonisierten Strom. Unklar ist zunächst, um welche Art von Ökostrom es sich handelt.
EEG-Strom: der EEG-Ökostrom steht den örtlichen Stadtwerken gar nicht nicht zur Verfügung, denn der EEG-Strom muss zwangsweise an der Strombörse verkauft und damit "exportiert" werden. Am fossilen Strom-Mix der örtlichen Stadtwerke ändert sich daher durch den EEG-Ökostrom nichts (siehe auch: Wie die EEG-Umlage tatsächlich funktioniert).
Herkunftsnachweise: Eine weitere Möglichkeit, Ökostrom ohne physischen Einkauf zu deklarieren, ist der Kauf von einfachen Herkunftsnachweisen ohne Lieferung. In diesem Fall findet bestenfalls ein Etikettentausch statt. Es geht aber auch schlimmer. Beispiel: Ein Versorger kauft das Etikett "Wasserkraftstrom aus Norwegen oder Österreich" über ein Herkunftszertifikat ein, ohne dass der Strom tatsächlich geliefert wird. Lediglich der "grüne" Ökonutzen wird eingekauft. Dieser Ökonutzen wird dann auf den fossilen Energieträger-Mix des Versorger in Deutschland geklebt und als "grüner" Ökostrom verkauft. Anmerkung: Eigentlich müsste der norwegische oder österreichische Verkäufer / Händler des Herkunftsnachweises den Wasserkraftstrom in fossilen Strom umdeklarieren, damit die Bilanz stimmt. Ganz anders wird noch auf Staatenebene bilanziert, denn hier gilt schlicht der Ort der Entstehung des Stroms (ortsbasiert). So kann Norwegen weiterhin 99 Prozent Wasserkraftstrom im Land ausweisen, selbst wenn der gesamte Ökonutzen (ohne Stromlieferung) ins Ausland verkauft würde. Dem Klimaschutz nutzt das gar nicht.
3. Fazit zum Ökostrom in der Dekarbonisierungs-Bilanz
Im Rahmen einer Dekarbonisierungs-Bilanz auf kommunaler Ebene ist darauf zu achten, dass geklärt wird, ob im Strombereich nur Ökostrom akzeptiert wird, der tatsächlich zur Dekarbonisierung des eigenen Beschaffungs-Mixes beiträgt (Kategorie "1") oder ob auch bilanzieller, d.h. "unechter" Ökostrom (Kategorie "2") akzeptiert wird.
Im Wärmesektor wird genauso wie im Stromsektor verfahren. Die Größenordnungen im Wärmebereich, die es zu dekarbonisieren gilt, werden allerdings vielfach unterschätzt. So ist ein Fernwärmenetz zwar umweltfreundlich, doch auch diese Wärmemenge muss dekarbonisiert werden. Noch schwieriger ist beispielsweise die Dekarbonisierung bzw. Umstellung der vielen Gasheizungen im privaten Sektor. Eine Beimischung von "grünem" Wasserstoff zum Erdgas wird bereits getestet, scheint jedoch bis zu einem Anteil von 30 Prozent problemlos möglich zu sein (Eon-Projekt)
2. Mustertabelle "Wärmesektor": Jahres-Monitoring Dekarbonisierung "Musterstadt" |
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2021 |
2022 |
2023 |
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MWth |
Mio. kWh |
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Wärmebedarf (gesamt) |
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4.400 |
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Tiefengeothmerie1 |
6,88 |
- ca. 15 |
- |
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Solarthermie2 |
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- ca. 6,5 |
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Abwärme |
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Umweltwärme |
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Oberflächennahe Geothermie |
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Biomethan |
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Wärme, |
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- |
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Zwischensumme |
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- |
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Deckungslücke |
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Beispiele für Anlagen / Größenordnungen: Beispiel-Anlagen, Daten Geothermie in Garching, Solarthermie: Daten der Stadtwerke Ludwigsburg-Kornwestheim GmbH Die Werte sind Beispieldaten und dienen als Anhaltspunkte zur Illustration. |
Der Sanierungssektor kann ebenfalls einem Monitoring unterzogen werden. Eine hohe Sanierungsquote spiegelt sich direkt in der Tabelle "2" , siehe Mustertabelle Wärmesektor, wider. Soll heißen: der Wärmebedarf sinkt einfach. Zusätzlich zur Sanierungsfläche wird auch die Neubaufläche erfasst. Entscheidend ist der Saldo. In manchen Städten werden die Sanierungserfolge durch den Neubau schlicht überkompensiert. Diese Planungsergebnisse gehen in der Wirkung in die Jahresplanung zum Wärmebedarf für die kommenden Jahre ein.
Mustertabelle "Sanierung": Jahres-Monitoring Dekbarbonisierung "Musterstadt" |
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2021 |
2022 |
2023 |
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2030 |
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Fläche |
Mio. kWh |
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Neubau1 |
100.000 |
+ ca. 5 |
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Gebäudesanierung2 |
70.000 |
- ca. 7 |
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Abbruch / Rückbau |
- |
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Umbau |
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Saldo |
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Beispiel-Kennzahlen (Annahmen): 1Neubau: Wärmebedarf 50 kWh / m², 2Sanierung: Altbau 150 kWh/m², nachher 50 kWh/m², d.h. Einsparung vorher / nachher rd. 100 kWh/m² Die Werte sind Beispieldaten von konkreten Anlagen und dienen als Anhaltspunkte zur Illustration. |
Aufbau einer Dekarbonisierungs-Jahresbilanz für Kommunen, Unternehmen nach IWR
Die Dekarbonisierungs-Bilanz nach IWR stellt jährlich auf der Grundlage der o.g. Einzeltabellen (Strom, Wärme) die Herkunft der dekarbonisierten und noch nicht dekarbonisierten Energie (Einkauf, Eigen-Produktion) der Energieverwendung (Nutzung, Verkauf Export) gegenüber.
Dekarbonisierungs-Jahresbilanz nach IWR für die Musterstadt, Unternehmen, etc. Jahr xyz |
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I. Energie-Verwendung |
II. Energie-Herkunft Quelle |
Einzelpositionen |
Einzelpositionen |
Münster, 2021
Kontakt
Internationales Wirtschaftsforum Regenerative Energien (IWR)
Tel. 0251-23946-0
Weitere Links zur Klimaneutralität
- Positionspapier des Klimabeirats vom 10. Dezember 2021 zur Klimaneutralität Münster (Download)
- Hintergrundinformationen zum Positionspapier "Klimaneutralität Münster" (Download)